Lucy, mein Reh

Ich möchte euch Lucy vorstellen. Lucy ist so eine Art Haustier für mich. Auf dem Bild hier seht ihr eine Ricke, aber ich muss ehrlich gestehen, ich weiß nicht zu 100%, ob es meine Lucy ist:


Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß nicht einmal, ob Lucy überhaupt ein Reh ist. Leider muss ich es auf die Spitze treiben: Ich habe Lucy bisher noch nie gesehen und vielleicht ist Lucy auch noch gar nicht geboren.

Welche Rolle spielt dann Lucy für mich?!
Ich denke sehr oft an Lucy und beobachte häufiger ihre Freunde. Wenn ich sommers (eher zufällig bzw. "unfällig") über dicht bewachsene Felder laufe, schrecken sie hoch, meist bleiben sie so lange in Deckung, bis ich bereits sehr nahe bin. Ich hätte sie gar nicht wahr genommen, bis sie aufschrecken. Manchmal stehen wir uns so mit 3 Meter Abstand plötzlich gegenüber und sie hüpfen elegant und leichtfüßig von dannen. Binnen 6-8 Sekunden sind sie gut 70 Meter entfernt, bleiben stehen und wir schauen uns neugierig an. Das sind die Momente einer gewissen Nähe mit diesen Geschöpfen, keine künstlich geschaffene Nähe wie im Zoo, sondern unter fairen Vorzeichen entstandene Nähe, zum Ausdruck gebracht durch gegenseitiges Interesse (wobei das Interesse des Rehs "natürlich" überwiegend durch Angst entsteht) - trotz der Möglichkeit schnell das Weite zu suchen, blieben sie aber stehen. Ich möchte diese Nähe mit einem speziellen Tier auf eine neue Ebene bringen.
Ein gewisses Reh (oder sogar ein Rothirsch?) wird einmal den Namen Lucy tragen, nachdem wir uns begegnet sein werden. Wir haben also eine Art Verabredung. Unser Treffen wird spontan statt finden, so wie alle Treffen mit Lucys Freunden bisher - ein sprunghaftes Völkchen eben. Da Lucy mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennt, wird sie so reagieren wie sie es lernte und ihr Instinkt es ihr sagt: Weglaufen! Dies wird nichts Neues sein, Lucy läuft ständig davon. Sie läuft oder springt maximal 60 Sekunden und geht danach langsam weiter, sie wechselt einfach auf den nächsten Standort für die Futtersuche und kehrt später vielleicht an den ursprünglichen Platz zurück. Kein Jäger kann es mit Lucy aufnehmen, sobald sie Lust bekommt, einen Sprint hinzulegen. An dieser Stelle der Begegnung aber wird etwas Seltsames passieren: Zum ersten Mal in Lucys Leben wird der Grund ihres Aufschreckens und ihrer schnellen, kurzen Flucht die Verfolgung aufnehmen. Lucy hat keine natürlichen Feinde, die sie normalerweise verfolgen würden. Entweder werden ihre Freunde durch Jagdgewehre aus dem Hinterhalt erschossen (was mehr als 1.000.000 Mal pro Jahr in Deutschland passiert), von einem Auto überfahren (200.000 Mal pro Jahr in Deutschland) oder die Gefahr ist durch Flucht binnen weniger Sekunden gebannt. Aber auch für eine Verfolgungsjagd ist Lucy gut gerüstet, sie bewegt sich ja in ihrem bekannten Revier und wiederholt einfach den 20-Sekunden Sprint nachdem sie eine kurze Pause machte. Damit ist sie wieder 200 Meter von mir entfernt und ich werde ihr nicht näher kommen, auch wenn ich mir keine Pause gönne, sondern zügig durchlaufe, immer direkt auf Lucy zu. Der Tag unserer Begegnung wird ein sehr warmer sein, ich werde die 3 Liter Wasser brauchen, die ich im Rucksack mit mir trage. Lucy hat es nicht so gut, es gibt nur wenige Bäche hier in der Gegend und zum Trinken wird nicht genug Zeit sein. Außerdem verliert sie nicht so viel Wasser wie ich, denn ich kann meinen Körper durch Schwitzen kühlen und damit länger leistungsfähig bleiben. Lucy trägt nur ihr Allwetter-Kleid und spürt bereits die ansteigende Wärme..

<Fortsetzung folgt>