Freitag, 6. September 2013

Bericht vom Rennsteig-nonstop am 30./31. August 2013

Kurzinfo:
Erstes offizielles 100-Meilen-Rennen entlang des Rennsteigs (ca. 169 km, 3400 +hm). Finish in 23:24 Std. auf Platz 20 von 66 (110 gestartet).

Bericht:
"Adam und Eva konnten das Paradies nur verlieren, weil es Ihnen geschenkt war."
(Christian Friedrich Hebbel, deutscher Dramatiker und Lyriker)

Wo ist der Ort, an dem müde Männeraugen vor Freude feucht werden, weil Ihnen ein herzlicher Empfang bereitet wird?
Wo ist der Ort, an dem ausgeklapperte und verschwitzte Läufer bei Musik und Kerzenschein zu Tisch gebeten werden?
Und wo erhalten Essen und Trinken eine riesige Wertschätzung, obwohl eigentlich die Eile der Einen auf ein fast alltägliches Essensangebot der Anderen trifft?
Dieser Ort ist eine Versorgungsstation in der Nacht vom 30. auf den 31. August, irgendwo am Rennsteig. Unser namenloser VP, besetzt von Namenlosen, die wir in Minuten lieb gewannen, symbolisiert den Übergang von einem "normalen" Laufwettbewerb zum Ultra. Nein, zur Mutter der Ultras: dem 100-Meilen-Lauf!

Du kannst hungrig und durstig bei einem 10-km-Lauf an den Start gehen und ohne Erfrischung sauschnell sein. Du schaffst den Halbmarathon in den falschen Schuhen und wenn du deswegen schlecht drauf bist. Und du wirst zurecht stolz und zufrieden sein, einen Marathon zu finishen, bei dem die richtige Pace alles ist, woran du denken musst.
Alle diese Wettkämpfe haben ihren spezifischen Reiz, beim Ultra liegt die Verlockung aber gerade darin, dass nur derjenige erfolgreich ist, der -neben einer gehörigen Portion Glück!- sich diszipliniert ernährt, die Komfortzone verlässt, das Unplanbare einplant, schmerzhafte Rückschläge verkraftet und demütig ist. Kurz gesagt: der bereit ist, Opfer zu bringen und sich das Paradies zu verdienen!

(Okay, aber was das Anziehen der falschen Schuhe angeht, reiße ich meine Klappe lieber nicht auf.. :-)

Es kommt nicht so häufig vor, dass ich mehr als 24 Stunden am Stück wach bin. Wenn dann noch der größte Teil dieser Zeit bei erhöhtem Puls abläuft, hat man rückblickend das Gefühl, eine ganze Woche statt "nur" einem Tag und einer Nacht auf dem Rennsteig verbracht zu haben. Es ist so viel passiert, wir haben so viel gesehen, nachgedacht, gelacht, geweint, dass hier nur ein kurzer Abriss möglich ist. Nur ein kurzes Anheben des Vorhanges, um dahinter zu blicken. Jeder nahm eine Geschichte mit nach Hause und war voll des Dankes an die Organisatoren und Helfer, viele haben nun auch eine offene Rechnung mit dem Rennsteig, einer kann sich als wahrer Ultra-Herkules feiern lassen (Glückwunsch an Peter Flock!).

Alles begann Freitag um 18 Uhr in Blankenstein, dem südöstlichen Endpunkt des Rennsteigs. Viele bekannte Gesichter der deutschen Ultraszene haben ihr Zaumzeug angelegt, eine kleine Liste findet ihr in dem toll bebilderten Bericht von Dieter Ulbricht hier, eine vollständige Starterliste auf der offiziellen Webseite des Laufs hier und schließlich die Ergebnisliste aller Finisher hier.

Die Ultras am Start in Blankenstein

Mein Motto für den ersten 100-Meilen-Lauf meines Lebens lautete: langsam, aber sicher. Da offenbar 99% der Läufer das ganz ähnlich sahen, ergab sich zu Beginn ein fast schon paradoxes Unterbieten an Lauftempo und auf dem Weg nach Schlegel hätte sich jeder als prahlerischer Pfau gebrandmarkt, der schneller als 5:30 min/km lief.

Entspannter Start mit Gute-Nacht-Kuss an Schatzi

Die Zeit verrinnt mit kleinen Gesprächen, unbedeutende Schmerzchen kommen und gehen. An den VPs wird viel und bunt gegessen, die 2 Liter Flüssigkeit im Rucksack reichen immer nur gerade so für die je ca. 20 km zwischen den VPs. Im ersten Drittel der Nacht, gegen halb 12, durchwandere ich mit Ecki Seher und Sören Schramm den Startpunkt des Rennsteig-Marathons, Neuhaus. Die milde Luft fühlt sich gut an, das Wandern auch. Unendliche Ruhe, man kann von "Genuss-Lauf" sprechen. Die knappe Mondsichel lugt orange zwischen den Wolken hervor, gelegentliche Fledermäuse.

Halbzeit am Dreiherrenstein nach 83 km: Zweifel, Eile, Hunger (v.l.n.r.)
Als gegen halb 6 Uhr morgens die Dämmerung eintritt, muss der Körper mit der neuen Situation erst zurechtkommen: ein neuer Tag, wo bitte war der Schönheitsschlaf? Gelegentliche optische Täuschungen stören aber kaum. Huschte da eine Maus über den Weg? War da gerade ein heller Blitz am rechten Bildrand? Irgendwie schafft man es, dass Große und Ganze kühl im Auge zu behalten (Hörschel! Heute!), aber innerlich ist man aufgewühlt. Aus den kürzer werdenden, wirklichen  Laufabschnitten werden Freudentänze (ich brauche mittlerweile 1,5 h je 10 km). Eine Wurzel, welche einen stolpern lässt, wird zum beschimpften Widersacher. Ein Schluck Cola wirkt vermeintlich wie Zaubertrank. Ein überholender Ultrafreund wird zum frenetisch angefeuerten Helden. Das schmerzende linke Knie will den Steinzeitläufer zur Strecke bringen, aber der würde eher kriechen, als heute aufzugeben.

Kaputt, aber nicht kaputt genug!
Nach 16 Stunden und 128 km steigt meine Laufuhr aus. Aber seit 3 Stunden habe ich ein Ass im Ärmel: mein stahlwadener Pacer Karsten sitzt neben mir im Sattel, hat eine weitere Uhr mitgebracht, die jetzt gestartet wird. Jedoch sind diese letzten 42 km mental die härtesten: Ich kann längst keinen Schritt mehr rennen, nur noch walken, bei immerhin ca. 9,5 min/km. Es schwinden langsam die Kräfte, kaum jedoch die Kilometer. Für diesen letzten der 4 Marathons heute brauche ich 7:15 Std.
Dass ich überholt werde, stört mich nicht mehr. Aber es sind binnen 8 Stunden gerade mal 9 Läufer, die das schaffen (Heike Bergmann, Siegerin der Frauen, schafft es sogar zweimal --> sie verläuft sich kurz vorm Ziel!). 
Das Ziel ist klar und ich bin sicher, dass ich es schaffe!! 100 Meter vorm Ziel holt mich Ingmar Herrmann ein, er ist unglaublich zäh. Gemeinsam rollen wir durch den Zielbogen.

Nur noch alles rausschreien!!!
Diesmal wird es keine sofortige Planung für den nächsten Lauf geben, kein einfaches Weitermachen. Dieses Mörderding muss ausgekostet und verdaut werden. Es gibt so viel zu hinterfragen, zu analysieren. Fest steht: Es war höllisch knapp (hier könnte auch ein trauriges "Was-lief-schief?" stehen), aber machbar. Nie werde ich vergessen, was ich hier empfunden und gelernt habe. 
Ich freue mich jetzt wieder auf kürzere Distanzen, insbesondere ein paar schnelle Marathons. Irgendwann.

Danke an die Organisatoren! Wer meißelt einen Dankesstein für die Fröttstätter und stellt ihn am Rennsteig auf? Ich gebe 20 Euro dazu, mindestens! 

Die Bilder stammen von Tina (1+3), Ecki (2) und Karsten (4+5).

Freitag, 4. Januar 2013

Doch noch ein Jahresrückblick 2012

Schnipp! Und wieder ist ein Jahr weg.
Aber ich will hier nicht groß rumphilosophieren, sondern nur ein paar Fakten für die Statistik nennen.

Gelaufen bin ich in 2012 ziemlich genau 4048 km, davon entfallen:
- auf Halbmarathon oder weniger: 2 Wettkämpfe*
- auf Marathon*:  7 Wettkämpfe*
- auf Ultra*: 8 Wettkämpfe* mit 726 km* (Rennsteig-Etappenlauf als 1 Ultra* gewertet)*

*) Erläuterung:
Es ist teils müßig, einen Marathon vom Ultra zu unterscheiden, einen Wettkampf vom Spaßlauf; ja sogar, einen Lauf von einer Wanderung. Warum tut man es dennoch? Also ehrlich, ich kann meine persönlichen Ziele & Vorstellungen vom Laufen im Moment nicht mit solchen Kategorisierungen ein Einklang bringen.
Gestern schaffte ich gerade mal zwei gejoggte km, dann trat ich den Heimweg an. Heute früh lief ich ein paar lustlose Kilometer und beschloss, da dies schon ein paar Wochen so geht, ein paar Dinge zu ändern. Ich laufe meiner Form hinterher (1:0 für's Phrasenschwein!), mein Sprunggelenk schmerzt nach fast jedem Lauf, irgendwie geht es weder vor noch zurück. "Zurück" (weniger laufen) ist angesichts der selbst gesteckten Ziele keine Option, "vorwärts" will der Körper gerade nicht.
Also ist eine eine grundsätzliche Entscheidung fällig, die ohnehin gerade sehr gut in die persönliche Planung passt: Ich werde in 2013 keine Bäume ausreißen, was die Anzahl an Wettkämpfen angeht, die Trainingskilometer usw. Hier muss dringend etwas Druck raus genommen werden. Nach der Brocken-Challenge ist erst mal Pause angesagt, Anfang Juni kommt dann der Skatstadtmarathon, Ende August der Rennsteig-nonstop und schwupps, ist 2013 auch wieder rum.
Nach zwei wunderbaren Laufjahren schieb ich jetzt ein Sabbatjahr ein und konzentriere mich nur auf den Spaß am Laufen - und auf den ganzen wunderbaren Rest, den man so "Leben" nennt :-)